Wadi Halfa

Repubik Sudan: Wadi Halfa – Lizenz zum Fischen

Wadi Halfa ist ein verschlafenes Städtchen, das nur bei der Ankunft der Fähre aus Assuan zum Leben erwacht. Dann herrscht hier großes Gewühl von Ägyptern und Sudanesen, man versteht sich gut und kann sogar sein Gepäck vor hoffnungslos überfüllten „Herbergen“ auf der Straße deponieren. Omar hat uns rechtzeitig angekündigt, und wir dürfen im Guesthouse seines Freundes Mazar wohnen.

Mazar ist im Tourismussektor eine bekannte Persönlichkeit. Er ist in Wadi Halfa aufgewachsen und kennt sich aus:  „Das Beste an Wadi Halfa ist der Sonnenuntergang im Nil. Nur hier kann man ihn das ganze Jahr über beobachten, weil der Nil 17 km breit ist. Wenn die Ägypter Wasser aus dem Nassersee ablassen, merken wir das, denn dann verändert sich hier die Landschaft. Etwa 35 km von Wadi Halfa entfernt sammelt sich fruchtbarer Nilschlamm, dort werden Wassermelonen und Kartoffeln bester Qualität angebaut. Neben der Landwirtschaft verdienen die Menschen ihr Geld in der Fischindustrie. Die Fischereigebiete werden auf Antrag zugeteilt, dazu beschäftigt die Fischereibehörde spezielles Personal. Jedes Jahr muss die Lizenz zum Fischen erneuert werden. Die Fische werden im Inneren kleiner Spezialtransporter auf Eis gelegt und nach Khartoum gefahren. Wir haben unsere eigene Eisfabrik, die von den Chinesen gebaut wurde. Die 40 Jahre alten Maschinen funktionieren einwandfrei. Ansonsten verdient man hier sein Geld mit dem Graben nach Gold. Die Goldgräber erkennt man an ihrer schmutzigen Kleidung, ihrer Menschenscheu und an verwegenen Gesichtern. Die Arbeit ist anstrengend, man hat kein Zuhause, schläft nachts in der oft kalten Wüste, deshalb werden viele Menschen krank und kommen dann auf die Idee, mit Fischfang den Lebensunterhalt zu verdienen, das ist auf jeden Fall bequemer“.

Für den folgenden Tag hat Mazar nach dem Besuch der Eisfabrik und dem Fischereihafen, in dem gerade Eis auf die Fischerboote geladen wird, den Besuch bei Ibrahim Hussein arrangiert, der uns mit seiner Frau auf der schattigen Terrasse vor seinem Haus empfängt. Der alte Mann ist 87 Jahre alt und erinnert sich: „Die ursprüngliche Stadt Wadi Halfa lag 45 km von hier, vor 1956, als der Damm gebaut wurde und die Stadt dann in den Fluten des Nassersees versank. Im alten Wadi Halfa lebten 60000 Menschen, darunter Griechen, Juden, Syrer und Türken, die sich sehr wohl gefühlt hatten, denn die Stadt war sauber, ruhig und sehr gepflegt. Daher war sie auch eine Attraktion für Touristen, 500 Besucher kamen pro Tag. Das hatte einen wichtigen Grund, denn damals war Wadi Halfa einziger Ausgangspunkt für alle Besucher von Abu Simbel: per Fähre, die dreimal pro Tag fuhr. Auf dem Internationalen Flughafen von Wadi Halfa starteten 85 Flüge täglich, der Wadi Halfa Airport existierte noch vor dem Khartoum Airport und dem Kairo Airport. Ich verdiente mein Geld als Buchhalter an der staatlichen Schule. Ab 1940 bekamen wir Elektrizität. Ich bin oft die 40 km von Wadi Halfa nach Abu Simbel zu Fuß gegangen, obwohl es die Fähre und Autos gab. Ein kleiner Zug verkehrte damals von Wadi Halfa nach Eshket (Grenze zu Ägypten). Auf meinen vielen „Reisen“ nach Abu Simbel ist mir nie etwas passiert“.

Nach seinen Eltern gefragt, erklärt er: „Mein Großvater Hussain Ibrahim Hussain Daoud Kashif war Sherif (eine Art Präsident) für ein Gebiet, das sich 700 km nach Süden erstreckte. Er starb 1840. Mein Vater arbeitete bei der Sudan Railway und war für den Eisenbahnbau bis zum 1. Katarakt in Assuan in der Verwaltung tätig“. Was war für ihn das schlimmste Erlebnis? „Das war der Bau des Staudammes. Ich war von Anfang an dagegen und habe sogar – in verschiedenen Etappen – für meine Gesinnung insgesamt fünf Jahre im Gefängnis verbracht. Ich bin der einzige Überlebende aus der Zeit des Staudammbaus, der bis zum Schluss im alten Wadi Halfa geblieben ist und sich geweigert hat, die Stadt zu verlassen. Schließlich musste ich dann doch gehen, um nicht mit der Stadt in den Fluten zu versinken“, meint er wehmütig.

Text und Fotos: Barbara Schumacher