Der Stamm der Beja

Der Stamm der Beja im Sudan

Seit Jahrtausenden leben die aus 12 Clans bestehenden Beja-Nomaden (Beja = „die mit dem offenen Haar“) im Red Sea State, der sich am Roten Meer von der Grenze zu Ägypten im Norden bis nach Eritrea im Süden erstreckt. Die Clans sind: Hadandowa, Beni-Amer, Amar-Ar, Beshareen, Ababda, Artaga, Ashraqf, Kumalab, Sheayab, Hababab, Hassanab und Al-Nourab.

Eigene Sprache und Kultur

Die Beja gelten als ruhig, klug und leicht im Umgang. Sie haben ihre eigene Sprache, die erst vor kurzem in Schriftform niedergelegt und ins Arabische und Englische übersetzt wurde, ihre eigene Tanz-, Lied- und Dichtkunst. Vor allem in den ländlichen Gebieten und in den Bergen werden die Traditionen bis heute gepflegt. Beim jährlichen Port Sudan Festival (Dezember bis Februar) lokken die kraftvollen „Kampftänze“ der Hadandowa, in der die langen Schwertklingen zum Zittern gebracht werden, viele Besucher an. Höhepunkt ist ein „Zweikampf“ mit Schwertern und Schilden aus Elefantenohren. Außerhalb der Stadt sieht man die Männer der Beja tatsächlich mit offenem Haar, in dem oft ein Kamm steckt, in der Stadt tragen viele jedoch das typische weiße Käppi (Tagia) oder (seltener) den für Sudan typischen weißen Turban (Imma). Den Spagat zwischen Tradition und Moderne kann jeder erleben, der sowohl den großen Markt der Beja vor den Toren von Port Sudan oder die Nomaden auf dem Land einerseits als auch die Innenstadt von Port Sudan andererseits erlebt. Die auf dem Land lebenden Beja legen Wert auf ihr eigenes Land und leben daher weit voneinander getrennt. Wegen ihres ausgeglichenen Wesens werden Angehörige dieser Ethnie von der Regierung gern in wichtigen Positionen eingesetzt.

Zu Besuch an der Red Sea University

Die Red Sea University hat ihren Campus unweit des prächtigen, weißen Gouverneurspalastes und daran anschließender Ministerien. Sie wurde 1994 gegründet. Hier gibt es das Beja Cultural Studies Center der Universität, das von Dr. Onour Seedy geleitet wird. Derzeit arbeitet man an zwei großen Projekten. Die amerikanische Forscherin Jeanette Swackhamer leitet ein auf 10 Jahre angelegtes Forschungsprojekt, in dessen Rahmen die ausschließlich der Beja-Sprache mächtigen Kinder auf dem Land und in den Bergen mittels „Mother Tongue Based Multilingual Ecucation (MTB MLE)“ als Fremdsprache Arabisch erlernen sollen, um so in die Lage versetzt zu werden, den Sekundarschulabschluss zu erreichen und damit Bildungsnachteile in der modernen Gesellschaft zu vermeiden. „Das Projekt beginnt bereits im Kindergarten und soll bis Klasse Acht reichen, es basiert auf entsprechenden Erfahrungen von UNESCO-Programmen“, so Jeanette Swackhamer, die sich auf den Email Austausch mit Forschern ähnlicher Projekte
und Interessenten, die das Projekt fördern möchten, freut (Kontakt über die Autorin dieses Artikels). – Als es um das zweite Projekt geht, kommen Abdallah Obshar, von allen respektvoll „Commissioner“ genannt, Angehöriger des Amar-ar Clans der Beja und Gründer des Beja Culture and Civilization Center, der Manager des Centers Mohammed Mahmoud und Dr. Mohammed Taleb Mohammed, Forschungsmitglied des Centers hinzu.

„Das Beja Culture and Civilization Center arbeitet mit dem Beja Cultural Studies Center der Uni eng zusammen,“ so Dr. Onour Seedy, der auch als Beja Language Consultant fungiert. Es folgt eine spannende Schilderung, die der Commissioner mit einem ausführlichen Dossier mit Bildern und Texten  untermauert. „Nach jahrelangen Forschungen haben wir herausgefunden, dass zwar die meroitische Sprache entschlüsselt ist, die im Sudan seit über 40 Jahren grabenden internationalen Archäologen also die Namen der Könige wie Taharqa oder Tanutamani lesen können, aber die Bedeutung nicht kennen. Wer der Sprache der Beja mächtig ist, erfährt mehr: Taharqa bedeutet: „Der, der Menschen tötet“, Tanutamani bedeutet „Der mit den Schafen“, Nafert Sat bedeutet: „Die schöne Frau, die sitzt“, Shebtaka bedeutet shebo tak, also „freundlicher Mann“, usw. „Die Archäologen lesen den Namen, sie wissen jedoch nicht, dass tatsächlich das Dargestellte beschrieben wird“, so die Überzeugung. „Außerdem meinen wir, dass viele Exponate, die im Nationalmuseum in Khartoum als „meroitisch“ ausgeschrieben ist, in Wirklichkeit der Beja-Kultur entstammen, Hinweise darauf gibt es in unserem Volkskundemuseum.“

Volkskundemuseum und Markt der Beja

Das 1986 eröffnete private „Handicraft and Tradition Museum“ der Beja ist im Besitz von Mohammed Al Hassan Ahmed, einem erfahrenen Sammler von Antiquitäten, der bereits über 20 Ausstellungen in Port Sudan, Khartoum und Alexandria organisiert hat. Die antiken, kunstvoll verzierten, gebogenen Jagd-Stöcke (Bilbil) die nur der Stammesführer benutzen darf (bzw. der König in der Meroe-Kultur), der nur am Ende gebogene Stock (Hadasa), den der nutzt, um mit bestimmten Zeichen im Sand seine Problemlösung zu begleiten, der Schild aus Elefantenohren, die Nackenstütze (Mitras) – all das kennt man aus dem Nationalmuseum in Khartoum als „meroitisch“. Nachweislich werden diese Gegenstände seit Jahrtausenden bis heute auch von den Beja genutzt, wie der Besuch auf ihrem exotischen Markt zeigt, auf dem die Männer mit Kamm im offenen Haar (sie tragen keinen Turban), langen Schwertern, Dolchen, Schilden und Stöcken anzutreffen sind. Jeden Morgen kommen sie aus den Bergen zum lokalen Kunsthandwerkermarkt und verkaufen ihre kunsthandwerklichen Produkte wie speziell gebogene Stöcke, Sandalen, Nackenstützen. Diese werden an vielen Stellen vor Ort produziert. Hier kann man Diskussionsgruppen beobachten, in denen das Oberhaupt der Gruppe, erkennbar durch den Stock, während des Vortrags der Probleme mit der Stockspitze waagerechte Linien in den Sand zeichnet. Als er die Problemlösung erörtert, wird dies begleitet durch senkrechte Striche im Sand. Ein Stammesführer hätte einen unten gebogenen Stock, den er bei Verkündung der endgültigen Problemlösung einmal aufschlagen würde – eine Jahrtausende alte Tradition.

Neues Forschungsgebiet Ethnoarchäologie?

Neuigkeiten sprechen sich schnell herum: In der Hauptstadt Khartoum wurden anlässlich einer Archäologie-Tagung am Französischen Kulturinstitut bereits Fragen zu den neuen Theorien gestellt, wie TagungsteilnehmerProf. Richard Lobban vom Rhode Island College (USA) berichtet. Wie jedes Jahr gesellte er sich im Dezember 2012 zu den Grabungsteams aus Deutschland, der Schweiz, Italien, Polen, Frankreich, USA, die nördlich von Khartoum entlang des Nils hauptsächlich zwischen dem 4. Katarakt und der Nilinsel Sai weiter im Norden tätig sind (und bisher erst 5 % der gesamten archäologischen Stätten des Nord-Sudan ausgegraben haben). Er ist Executive Director des Sudan Studies Association Bulletins (www.sundanstudies.org), international anerkannter Experte in sudanesischer Geschichte, Archäologie und Linguistik. Sein Kommentar zu den sensationellen Forschungen der Beja: „Durchaus interessant – weitere Ergebnisse abwarten“. Das Treffen bei Dr. Abdel Rahman Ali Mohammed, Director General der National Corporation for Antiquities and Museums am 19.12.2012 sollte weitere Aufschlüsse bringen: „Ich habe bei meinem Besuch in Port Sudan im November 2012 den dortigen Forschern gesagt, dass sie die Verbindung zur Zivilisation der Beja weiter untermauern sollen. Gelingt dies, werde ich einen Workshop in Khartoum organisieren und die internationalen Archäologen dazu einladen. Das ist eine neue Art von Forschung, nämlich der Link zwischen Ethnoarchäologie und Archäologie. Es handelt sich um ein zukünftiges Forschungsgebiet, und ich halte das für verfolgenswert“.

Die Beja im Fokus der Medien

Das Straßenbild in der Innenstadt dominieren die Händler. In den Häusern der Innenstadt gibt es im Erdgeschoss unter den Arkaden viele Geschäfte aller Art, auch viele Schifffahrtsgesellschaften, Rundfunk und Fernsehen. Auch kleine Verlage von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern sind hier ansässig. Im ersten Stock eines der Kolonialhäuser hat Mohammed Al Hassan Abu Zeinab, genannt „Shigera“, sein Büro. Er ist General Manager der Wochenzeitung „Parout“, die zwar in Khartoum in einer Auflage von 5.000 Stück gedruckt, aber nur in Port Sudan und den ländlichen Gebieten um die Stadt vertrieben wird. „Wir geben auch ein gleichnamiges Monatsmagazin mit vielen Artikeln über die Beja heraus, das jedoch getrennt vertrieben wird – von zehn Vertriebsstellen im Red Sea State. „Auf die Frage, wer die Artikel schreibt, meint er: „Es gibt hier viele Journalisten, für die meisten ist das Schreiben ein Hobby. Viele schreiben über kritische Themen und zeigen Probleme in ihren Gemeinden auf, z. B. die schlechte Müllentsorgung oder Fliegenplage. Der Wali erfährt so von den Problemen und gibt sich alle Mühe, sie zu lösen. Auch über gelöste Probleme wird berichtet, die Leute geben ihrer Dankbarkeit Ausdruck. Wegen der gesellschaftlichen Themen wie Heiraten, usw. und aktueller Berichte über Kultur, Sport und Politik sowie die Geschichte der Beja in einer Fortsetzungsserie wird die Zeitung gern gelesen, sie ist in ihrer Art die einzige Zeitung im Sudan. Während des Port Sudan-Festivals haben sie besonders viel zu tun: die „Presenter“ und das Kamerateam von Red Sea TV. Von den Auftritten der Beja können die Zuschauer nicht genug bekommen. Besonders engagiert ist die in Port Sudan gebürtige Najwan Ismail Abdelrahim Sadah (20). Sie dürfte wohl die Jüngste in der Branche sein. Nebenher studiert sie Informationstechnologie im dritten Jahr an der Ahlia-Universität. Seit März 2012 ist sie beim Fernsehen. Auf die Frage, wie es dazu kam, antwortet sie in perfektem Englisch: „Ich besuchte den für Medien zuständigen Minister und sagte ihm, dass ich beim Fernsehen arbeiten möchte. Ich bekam als Red Sea Channel Trainee eine Chance, Interviews zu machen, offenbar war ich gut und landete in der Abteilung „open media“, weil ich darum gebeten hatte, alles außer Politik zu behandeln. Im täglichen TV-Magazin „Magic Festival“ komme ich gut an, wähle die Interviewpartner selbst aus und bin frei in meinen Entscheidungen. Nur selten sagt mir mein Chef, was ich machen soll. Im Moment habe ich keine Zeit für Studium und Familie, aber in einem Monat muss ich ein Examen bestehen, ich werde zwei Wochen vorher Fernsehpause machen. Ich bin jetzt bekannt, aber der Druck, unter dem ich stehe, ist enorm“. Und was sind ihre Zukunftspläne? „Plan A ist ein Fernsehjob im Ausland, mein Traum wäre mbc. Plan B ist, bei Red Sea TV zu bleiben und zusätzlich für das Tourismusministerium als Guide zu arbeiten. Unterstützung von meiner Familie bekomme ich nicht. Meine Schwester (26) ist Ärztin und verheiratet, sie hat selbst viel Stress, mein Bruder (32) lebt in den USA. Meine Eltern sehen mich live im Fernsehen, aber sie verstehen meine Arbeit nicht und sind dagegen. Ich werde aber nicht nachgeben, sondern als nächstes Auto fahren lernen, um noch unabhängiger zu sein“.

Text und Fotos: Barbara Schumacher