Religion

Sufismus im Sudan

Bei der Fahrt durch das riesige Land der Republik Sudan fallen immer wieder oft von weitem sichtbare, große Mausoleen mit Spitz- oder Rundkuppel auf, die stets gut gepflegt sind und meist am Rande eines großen Platzes stehen: Es sind die Mausoleen (Gubbas) von Sufi-Scheichs. Jeden Freitag vor Sonnenuntergang gibt es in Omdurman vor der Kulisse mehrerer Gubbas eine beeindruckende, der Öffentlichkeit zugängliche Zeremonie der Qadriyah Sufis.

Yusuf Fadl Hasan an der University of Khartoum gilt als Spezialist für Sufismus. Ein Termin ist schnell vereinbart – an dem von ihm gegründeten Institute of African and Asian Studies an der Uni, an der er seit seiner Graduierung 1957 an der Fakultät für Geschichte lehrt. Er ist Jahrgang 1935, wurde in Shendi geboren, promovierte 1964 an der University of London(School of Oriental Studies). Unmittelbar danach wurde er Direktor der Sudan Research Unit, die er im Jahr 1972 zu dem bis heute sehr aktiven, zur University of Khartoum gehörenden Institute of African and Asian Studies transformierte. Während seiner Karriere repräsentierte er sein Land auf nationaler und internationaler Ebene.

„Ich war Dekan der Faculty of Arts und stellv. Vizekanzler, außerdem Präsident der Omdurman Islamic University und Präsi-dent der University of Khartoum bis 1990. Immer wenn es um die Themen Bildung und Kultur ging, wurde ich in sämtliche Regierungs-Komitees berufen, ich war auch Mitglied bzw. Präsident zahlreicher internationaler Organisationen, wie z. B. International Congress of African Studies“. Noch länger als die Liste seiner akademischen Positionen bzw. Mitgliedschaften in nationalen und internationalen Organisationen ist die Liste seiner Bücher in arabischer (11) und englischer (7) Sprache, sowie die
wissenschaftlichen Artikel: über 90 erschienen in namhaften Zeitschriften zu den Themen Sudan, arabische, afrikanische und islamischen Geschichte.

Nach dem Thema „Sufismus in Sudan“ gefragt, erzählt er: „Die Sufis haben mich immer sehr beeindruckt, aber ich gehörte nie einem religiösen Sufi-Orden an, war auch nie Mitglied einer politischen Partei“. Sein Buch mit dem Titel „Tabaqat Ibn Dayfallah – The book of generations of Sufis and incarned men“ gilt als Standartwerk und bestes Buch in Arabischer Sprache zum Thema des Sufismus im 16.-18. Jh. „Als das Buch erschien, fragten mich viele, warum dieses Buch? Man fand es geradezu abwegig, ein Buch über Sufi Bruderschaften zu schreiben. Diesen Kritikern habe ich geantwortet, dass ich es für wichtig erachte, die Geschichte der Sufis festzuhalten und bis heute stehe ich dazu. Leider ist das Buch inzwischen vergriffen“. Nicht vergriffen ist dagegen ein weiteres Standardwerk aus der Feder des Professors: „The Arabs and the Sudan – from the seventh to he early sixteenth century“ erschien erstmals 1967 und erlebte 2012 die fünfte Auflage (ISBN 99942-815-4-2). Das Buch behandelt unter anderem das Verschwinden des Christentums in Nubien Anfang des 14. Jh.

Selbstverständlich pflegt Prof. Hasan bis heute Kontakt zu den verschiedenen Sufi-Bruderschaften. Von den sieben wichtigsten im Sudan interessieren mich zwei, nämlich die Kathmiyya (größte Bruderschaft) und die Qadiriya (eine der ältesten). Nach einer Kontaktperson in Kassala, der „Hochburg“ der Kathmiyya gefragt, hat Prof. Hasan sogleich einen Namen und eine Telefonnummer zur Hand und ein Treffen in Kassala wird vereinbart. Dort lädt Abdallah Al Hassan Batira, Kathmiyya Sufi Imam gastfreundlich in sein Haus ein. Das Haus liegt unweit der Ruine der großen Moschee und der gewaltigen Gubba in Adobe Architektur (beide 1883 gebaut) am Fuße der roten Rundfelsen der Taqa Mountains, für die Kassala berühmt ist. Auf dem dortigen Platz versammeln sich an Festtagen, wie z. B. dem Geburtstag des Propheten, tausende Sufis, es gibt auch eine große Koranschule.

Abdallah erklärt: „Sheikh Mohamed Osman Al Khatim ist der Namensgeber für die Kathmiyya. Er stammt aus der Prophetenfamilie und kommt ursprünglich aus Saudi-Arabien, wo er in Taif 1860 geboren wurde. Er lehrte zunächst Islamische Wissenschaften und den Koran in Mekka, kam dann nach Ägypten, heiratete und der erste Sohn Sir Al Khatim wurde Kalif in Kairo und blieb mit seiner Mutter dort, während der Vater über Wadi Halfa, den Nil aufwärts über Dongola, Karima und Nuri nach Shendi gelangte, wo er wieder heiratete, Frau und Tochter in Shendi zurückließ und schließlich nach Khartoum kam. In der dortigen Gubba ist übrigens sein Ur-Ur-Enkel begraben. Von Khartoum zog es ihn weiter nach Sinnar, Kassala, Al Obeid und schließ-lich nach Bara. An all diesen Orten heiratete er, die sechste Frau also in Bara. Der Sohn aus dieser Ehe Mohammed Al Hassan wurde in der Gubba in Kassala begraben. Er war der Khalifa für die Kathmiyyas in ganz Sudan und lebte in Kassala. Die siebte Ehefrau heiratete Mohamed Osman in Makal, die achte in Sinkat, in der dortigen Gubba ist Enkelin Mariam (Gubbas für Frauen sind sehr selten) begraben. Alle Familienmitglie-der verbreiteten den Koran und lehrten Islamische Wissenschaften. So breitete sich der Sufismus aus: Von Saudi-Arabien über Sudan, nach Eritrea, Äthiopien, Somalia, bis in den Jemen. Man war zur damaligen Zeit ausschließlich mit Kamel, Pferd oder Esel unterwegs“. Auf die Frage, wie man Imam wird, erklärt er: „Ich bin Master-Imam und habe Assistenten. Das Amt wird vererbt, allerdings nur, wenn folgende Qualifikationen erfüllt sind: Man muss ein guter Mensch sein, den Koran auswendig können und islamische Wissenschaften unterrichten können“. – Da
ich gern auch etwas über die Qadriyah Sufi-Bruderschaft erfahren möchte, stellt der Kathmiyya-Imam den Kontakt zum amtierenden Qadriyah-Scheich in Abu Harras (bei Wad Medani) her.

Dort angekommen lädt Architekt Anis Al Sheikh Al Gazasi Al Sheikh Abdallah Wadyunus in sein Empfangszimmer ein, in dem sich eine große Bibliothek befindet. „DerGründer der Qadriyah Sufis ist Sheikh Abdelgadir Al Jeilani. Er lebte in Bagdad. Er sandte seinen Sohn Tajeodin Al Bujari im Jahr 820 über Ägypten in den Sudan und die Familie breitete sich über den ganzen Sudan aus, vor allem in Rufaa, Taiba, Wad Medani und Omdurman. Unser Zentrum ist Abu Harras. Ich stamme aus dieser Familie, in 17. Generation. Bis 2006 hatte ich acht Jahre lang in Dammam bei Saudi Aramco als Architekt gearbeitet, als mein Vater mich anrief und mich bat, seine Position als Scheich zu übernehmen, weil er bald sterben würde. Die Bevölkerung hier hat das akzeptiert, das ist eine wichtige Bedingung neben besten Koran-Kenntnissen. Außerdem muss man ein guter und ehrlicher Mensch sein. Ich habe noch sieben Brüder, sie arbeiten als Ingenieure, Ärzte, Farmer, Lehrer, etc. Wir haben hier eine Koran-Schule, 2 Lehrer unterrichten dort jeden Tag die zwischen 5 und 12 Jahre alten 60 Schüler in Koran und Arabisch“. Obwohl er an der University of Khartoum Architektur studiert hat, unterrichtet er jeden Freitag Islamische Wissenschaften. Auf die Frage nach seinen Aufgaben meint er: „Ich löse die Probleme, die mir von den Bewohnern der Gegend vorgetragen werden. Da geht es z. B. um Streitigkeiten hinsichtlich Landbesitz, Eheprobleme oder gesellschaftliche Probleme zwischen Alt und Jung. Ich befasse mich ausführlich mit dem jeweiligen Fall und löse das Problem, meine Problemlösung wird hundertprozentig akzeptiert. Ich habe noch
meine eigene kleine Firma in Khartoum, deshalb verbringe ich 2 Tage pro Woche dort und den Rest der Zeit hier in Abu Harras“. Inzwischen warten draußen geduldig fünf Ratsuchende, während der Scheich seinen Sohn bittet, mir die 18 Gubbas zu zeigen, die außerhalb des Dorfes auf einer weiten Fläche, umgeben von Büschen und Bäumen liegen. So viele Gubbas an einem Ort sind in Sudan einmalig.

Text und Fotos: Barbara Schumacher